Üben
“Progress comes to those who train and train” Morihei Ueshiba
Das es für das Erlangen von Fertigkeiten der Übung bedarf, ist wohl jedem bekannt. Nicht
diskutabel ist sicher auch die Tatsache, dass dies zweifelsohne auch auf die Kampfkünste zutrifft.
Schließlich sind hier die Anforderungen an viele unterschiedliche Fähigkeiten groß, will man es
einmal zur Meisterschaft in seiner Kunst bringen.
Doch wie viel Übung ist nun tatsächliche erforderlich, um etwas wahrlich meisterhaft zu
beherrschen? Vielleicht habt ihr bereits von der 10.000-Stunden-Regel gehört? Professor Anders
Ericsson hat diese Regel bekannt gemacht, in einer Veröffentlichung stellt er einen Zusammenhang
zwischen den außerordentlichen Leistungen von Personen, die es zur extremer Anerkennung in
einer Disziplin gebracht haben und den von ihnen geleisteten Übungsstunden her. In seiner
Veröffentlichung ‚The Making of an Expert‘ (The Making of an Expert (hbr.org)) kam er auf eine
mehr oder weniger genaue Anzahl von 10.000 Übungsstunden, die jene Personen geleistet hatten,
die zu den Besten ihrer Zunft gehörten.
Ist das Geheimnis um außergewöhnliche Leistungen auf einem Gebiet damit gelöst? Muss ich
„lediglich“ 10.000 Stunden investieren und ich werde zwangsläufig zu den Besten gehören?
Als Kampfkünstler haben wir sicher bereits Bruce Lees Zitat „ Ich fürchte nicht den Mann, der
10.000 Kicks einmal geübt hat, aber ich fürchte mich vor dem, der einen Kick 10.000 mal geübt
hat.“ gehört. Auf den ersten Blick passt das genau zu der 10.000 Stunden Regel und wenn Bruce
das gesagt hat, kann ich ihm wohl kaum widersprechen. Freunde, das will ich ganz bestimmt nicht
tun, aber Bruce hat auch gesagt :“ Es ist genau wie bei einem Finger, der in Richtung Mond zeigt.
Du darfst Dich nicht nur auf den Finger konzentrieren, denn sonst siehst Du ja nichts von der
himmlischen Pracht.“
Vielleicht sollten wir uns nicht nur auf die nackten Zahlen konzentrieren, sonst entgeht uns
vielleicht ein wichtiger Aspekt für unser Training. Die 10.000-Stunden-Regel von Anders Ericsson
gerät, nicht nur bei seinen Fachkollegen, immer mehr in die Kritik, sondern auch er selbst hat diese
absolute Zahl von 10.000 Stunden zu einer späteren Zeit seiner Arbeit relativiert. Er bezieht sich in
diesem Zusammenhang darauf, dass nicht nur die Anzahl an Wiederholungen, sondern auch deren
Qualität eine wichtige Rolle bei deren Effizienz spiele. In seinen Buch „Top: Die neue Wissenschaft
vom bewussten Lernen“ weißt er auf die Problematik hin, dass wir bei längeren Üben dazu neigen,
weniger auf die Details zu achten und kleine Fehler zu übersehen.
Wir sollten versuchen, achtsam und konzentriert in den Übungen zu bleiben, sonst werden diese
nicht zu einer Verbesserung führen, sondern lediglich zu einer Wiederholung von bereits
Bekanntem/Beherrschten. Der Übende festigt seine Automatismen, abseits davon kommt es jedoch
nicht zu weiteren Verbesserungen. An dieser Stelle ist im Buch von einer Unterscheidung zwischen
naivem Üben und gezielten bzw. bewussten Üben die Rede. Das naive Üben stellt also das
einfache Wiederholen von Altbekanntem dar. Das bewusste, gezielte Üben differenziert sich
jedoch durch mehrere Merkmale.
1. Klare Zielsetzung
2. Fokussierung
3. Feedback
Dieses Üben bewegt sich jenseits der Komfortzone des bereits Bekannten. Der Aspekt der
Zielsetzung sollte klar machen, dass es bei der Übung nicht darum geht, Altbekanntes zu
reproduzieren, sondern zu versuchen, ein Ergebnis zu erzielen, das über den Vorangegangenen liegt.
Der Fokus, den wir hier zu erreichen suchen, sollte weit über dem des einfachen Wiederholens
liegen.
Ismet Himmet, ein Lehrer der Kampfkünste (Ismet Himmet Kung Fu (podia.com)), bei dem ich
die Ehre hatte, einige Unterrichtsstunden zu nehmen, hat dafür eine sehr passende Geschichte parat.
„Du fährst auf einem Boot, wilde Stromschnellen herab und siehst plötzlich vor dir wilde und
vernichtende Wasserfälle auftauchen. Die Strömung, ist so stark, dass dir nur eine Überlebenschance bleibt.
Auf halben Weg zwischen dir und dem Wasserfall gibt es einen Baum und
einer seiner Äste wächst über den Fluss. Wenn du überleben willst, musst du diesen Ast zu fassen
bekommen und du hast nur eine Chance, diesen zu packen und dich daran fest zu klammern. Der
Fokus, mit dem du diese Aufgabe angehst, sollte der selbe Fokus sein mit dem du trainierst, denn
jede Wiederholung mit diesem Fokus ersetzt unzählige ohne klares Ziel.
Eine weitere Möglichkeit eine Übung mit möglichst viel Energie, Konzentration und Fokus
auszuführen, ist die des spaced learning. Hierbei unterteilt man die zu lernenden Aspekte in kleine
Segmente und wiederholt diese über den Tag, häufiger jedoch für einen kürzeren Zeitraum. Man
trainiert einen Teilaspekt einer Fähigkeit zum Beispiel über den Tag verteilt für 2 * 30 Minuten an
Stelle von einmal einer Stunde. Dies ermöglicht nicht nur, mit mehr Energie und besserem Fokus an
die Sache heranzugehen, sondern begünstigt auch den Übergang von Kurzzeitgedächtnis ins
Langzeitgedächtnis. Eine Studie gibt Grund zu der Annahme, dass diese Vorteile belegbar sind. Im
Rahmen der Untersuchung stellte man fest, dass die spaced learning Gruppe eine neue Fähigkeit
schneller lernte als die Kontrollgruppe, auch wenn die absolute Lernzeit niedriger war.
(https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/00140137808931764)
Beim dritten Punkt, dem Feedback, kommt die Bedeutung eines guten Lehrers ins Spiel. Hat der
Schüler einen guten Lehrer, wird dieser seine Leistungen möglichst objektiv analysieren, dessen
Schwächen ermitteln und dem Schüler einen Weg vorschlagen, diese beim weiteren Üben zu
beseitigen. Wer ohne Lehrer üben will, sollte sich unbedingt merken, das die Aspekte der
Konzentration, des Feedbacks und der Korrektur dann ganz allein in seiner Verantwortung liegen.
Der Schüler muss Möglichkeiten finden, um diese Aufgaben zu bewältigen, sonst wird er sich im
Kreislauf naiven Übens drehen und durch seine Praktik mehr von Altbekanntem reproduzieren.
Trotz alle dem :
„ Don´t do a technique 5 times and wait for the instructor to tell you WHAT´S NEXT. Do the
technique 500 times and wait for the instructor to tell you to STOP. „ Quelle ist mir leider nicht
bekannt.
Wiederholt im Training eine Technik nicht einfach nur ein paar Mal und wartet dann darauf, vom
Lehrenden eine neue Aufgabe zu bekommen, sondern nutzt die Zeit, die Technik mit vollem Fokus
so oft zu wiederholen wie ihr könnt, vielleicht mit Feedback eures Trainingspartners, bis euer
Meister/In euch stoppt um euch eine neue Aufgabe zu geben. Verschwendet nicht die wertvolle Zeit
eures Trainings damit, auf eine neue Aufgabe zu warten.
Versteht mich nicht falsch, es ist nichts schlechtes daran im Training Spaß zu haben, einmal
herumzualbern und mit seinem Trainingspartner ein Gespräch zu führen. All das kann sich sehr
positiv auf euer Lernergebnis auswirken. Aber letzten Endes lernt ihr nicht durch die Zeit die ihr
euch im Training amüsiert, sondern durch die Zeit, die ihr in eure Übungen investiert. Ob nun der
beste auf eurem Gebiet oder nicht, mit 10.000 Stunden oder weniger, wer bewusst übt, wird am
Ende eine bessere Version seiner selbst sein.